Sapere aude!

Leseprobe aus:

Bergpredigt und Reich Gottes

 

Die ursprüngliche Fassung der Mahnrede vom Nicht-Sorgen (Mk 6,25-34 par. Lk 12,22-32) lässt sich begründet auf den historischen Jesus zurückführen. Zum einen stimmt der Aufruf zum völligen Einsatz für das Reich Gottes überein mit dem Skopus der als authentisch zu beurteilenden Doppelparabel vom Schatz im Acker und von der köstlichen Perle (Mt 13,44-46) [1]. Zum anderen hat die Verbindung von Abwehr der Sorge und Anstiftung zum Reich-Gottes-Engagement ihr Pendant in der authentischen Q-Version des Vaterunsers [2], das Basileia und Brotbitte miteinander vereinigt. Hinzu kommt der Wanderradikalismus als  „Sitz im Leben“ [3].

Zum Schluss soll die Beantwortung der Frage stehen:  „Jesus ein Weisheitslehrer?“ Auf Grund des Ausgeführten legt sich mir Folgendes nahe: Der historische Jesus trat nicht als Weisheitslehrer, sondern als endzeitlicher Prophet auf, der den Anbruch der eschatologischen Gottesherrschaft proklamierte. Wenn er sich bei der Entfaltung seiner Botschaft in einem erheblichen Ausmaß weisheitlicher Ausdrucks- und Denkformen bediente, so erfuhren diese durch den neuen Kontext eine tiefgreifende Umdeutung: Jesus verkündigte  „eschatologische Weisheit im Horizont des Reiches Gottes“ [4].

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1  Zur Begründung der Authentizität vgl. ETA LINNEMANN, Gleichnisse Jesu. Einführung und Auslegung, Göttingen 6. Aufl. 1975, S. 107 f.; JÜRGEN BECKER, Jesus von Nazaret, Berlin / New York 1996, S. 295.

2 Zur Begründung der Authentizität vgl. J. BECKER, a.a.O., S. 329-331.

3 Vgl. GERD THEISSEN, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000, S. 142 f.

4 WALTER GRUNDMANN, Weisheit im Horizont des Reiches Gottes. Erwägungen zur Christusbotschaft und zum Christusverständnis im Lichte der Weisheit Israels, Stuttgart 1988, S. 298.