Sapere aude!

Leseprobe aus:

Rudolf Bultmann
Briefwechsel mit Götz Harbsmeier
und Ernst Wolf 1933-1976

Werner Zager (Hg.)

Die Printfassung enthält Fußnoten.


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Götz Harbsmeier:
Rudolf Bultmann 75 Jahre alt (1959)

Sollte je die Rolle der Tabakspfeife – und sogar auch des Kautabaks – innerhalb der Zunft der Theologen ergründet und gewürdigt werden, so müßte der Verfasser des einschlägigen Werkes in einem besonderen Kapitel über die Gegenwart eingehend auf Rudolf Bultmann zu sprechen kommen. Ob überhaupt und wie ein Theologe die Pfeife raucht, das ist höchst bezeichnend auch für sein Werk. Der Gebrauch dieses hölzernen Ofens „Pfeife genannt“ steht in einem erst noch zu erforschenden Zusammenhang mit der Geburt und dem Werdegang des Gedankens. Der verinnerlichende, riechende, schmeckende und beschaulich betrachtende, musisch-zweckfreie Umgang mit dem Rauch aus einer Pfeife ist für den Kundigen weit mehr als nur ein anregender Genuß in der Nähe des Lasters.

Gedenke ich hier Bultmanns zu seinem 75. Geburtstag, indem ich ihn mit der Pfeife vorstelle, so entspricht das nur der Wirklichkeit. Anders als so habe ich ihn, selbst bei gestrengen Übungen im Theologischen Seminar der Universität Marburg, nie gesehen.

„Wie meinen Sie das?“ fragte er mich, den soeben frisch nach Marburg gekommenen Studenten. Das war vor nunmehr gut 25 Jahren. Ich hatte gerade eine theologische Äusserung gewagt. Und ich war der Ansicht, mich einigermassen überlegt und deutlich ausgedrückt zu haben. /2/ „Wie meinen Sie das, wenn Sie den christlichen Glauben wesentlich als Auferstehungsglauben verstehen wollen?“ Unter solchen unnachgiebigen Fragen wurde ich unsicher. Am Ende war es doch nichts mit meiner vermeintlichen Klarheit. Ich erkannte, dass ich der Begriffe nicht recht Herr war. Überdies war ich höchst erstaunt darüber, wie Bultmann meine eigene Rede zu interpretieren verstand, und wie er mich erst darauf brachte, welche Möglichkeiten meine unscharfe Rede offengelassen hatte. Ich verstand erst durch Bultmanns Worte, was ich eigentlich gemeint hatte. Das war der Augenblick, in dem ich zu begreifen begann, was Bultmann mit der von ihm selbst immer wieder geforderten und angebotenen „verantwortlichen Begrifflichkeit“ in den Dingen der Theologie meint. „Wie meinen Sie das?“ Man hat schon gerügt, daß Bultmann mit dieser ständigen Frage und mit dem Gerüst der von ihm entwickelten Begrifflichkeit reichlich professoral wirke. Kein Geringerer als Karl Jaspers, Bultmanns Mitschüler im Oldenburger Gymnasium, hat das einmal geschrieben. Ist das aber im Ernst ein Tadel? Warum soll einer, der Professor ist, es nicht auch wirklich sein?! Wir entgehen alle nicht der prägenden Macht unserer Berufe. Am wenigsten dadurch, dass wir nicht sein wollen, was wir sind. Die Freiheit von der Professoralität gedeiht nicht auf angstvoll eitler Flucht vor der Last eines bedenklichen Erbes, sondern in der Art, wie es übernommen wird. Und Bultmann ist mit Haut und Haaren ein Professor.

„Das verstehe ich nicht“ pflegt er mit gut professoraler Monotonie zu sagen, wenn die Theologen vorbringen, was einer verantwortlichen Begrifflichkeit nicht standhält. Schon manchem heute bedeutenden Theologen hat dieses: „Das verstehe ich nicht“ lästig an den Nerv gerührt. Sie konnten sich der Frage aber auch dadurch nicht erwehren, dass sie ihn einen Rationalisten nennen, der den Glauben dem Urteil der Vernunft blindlings unterwirft. Denn dergleichen liegt ihm völlig fern. /3/ Auch ohne ein Rationalist zu sein, kann man sehr wohl die Forderung auf eine allgemein verständliche, theologische Rechenschaftsablage erheben.

Es ist allemal peinlich ernüchternd, wenn ein Theologe, der große Worte etwas unbedacht ausspricht, bei ihnen behaftet und gestellt wird. „Das verstehe ich nicht“, dieser Satz – in die entsprechende Situation hineingesprochen – wirkt nicht selten wie ein kaltes Bad. Es nimmt das Fieber der frommen Illusion, die große Ärzte auslösen können, wenn sie, mit der Gewalt mythischer Wesenheiten umgeben, ihren eigenen klaren Sinn verlieren. Dieses „das verstehe ich nicht“ ruft die intellektuelle Redlichkeit und Rechenschaft auf den Plan! Es verlangt „das Rede-und-Antwort-Stehen“ und verbaut den Fluchtweg in den Aberglauben, in die religiöse Geheimnistuerei, in das Land einer falschen Heiligkeit.

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