Leseprobe aus:
Jesus in den Weltreligionen
aus: Martin Bauschke, Jesus im Koran und im Islam (S. 59f.)
1.2. Warum sollten Christen und Muslime miteinander über Jesus sprechen?
Ich nenne die vier wichtigsten Gründe:
1. Der Koran ist außer dem Neuen Testament die einzige Heilige Schrift einer Weltreligion, in der Jesus eine wichtige Rolle spielt. Das unterscheidet den christlich-islamischen Dialog über Jesus von jedem anderen Dialog über ihn, denn nur hier geschieht er von beiden Seiten her auf der Basis der jeweiligen Heiligen Schrift. Das ist im Judentum, in der Philosophie, der Kunst, der Literatur anders: Dort kommt Jesus mehr oder weniger vor, und wo er vorkommt, kann man mit Juden, Philosophen, Künstlern und Schriftstellern über ihn sprechen. Aber: ich muss mich als Jude, Philosoph, Künstler oder Schriftsteller nicht unbedingt mit Jesus befassen! Wohl aber als Muslim und Muslima, weil dieser Jesus mir im Koran begegnet: 15 Suren erwähnen Jesus in mehr als 100 Versen: in den zeitlich früheren, mekkanischen Suren 6; 19; 21; 23; 42; 43 sowie in den späteren, medinischen Suren 2; 3; 4; 5; 9; 33; 57; 61; 66.
2. Die Gestalt Jesu steht im Zentrum des christlichen Glaubens: Wie andere Menschen zumal andersglaubende Menschen über ihn reden, was sie über ihn denken, kann und darf keinem Christenmenschen gleichgültig sein.
3. Der christlich-islamische Dialog über Jesus beginnt bereits im Koran ein heutiger Dialog zwischen Christen und Muslimen ist kein Luxus, keine neue Erfindung der Gegenwart, kein Trend des Zeitgeistes, sondern schlicht die Wiederaufnahme und Fortsetzung einer Dialoggeschichte, die 1.400 Jahre alt ist.
4. Angesichts unserer kulturell, religiös und ethnisch durchmischten Gesellschaft ist heute kein Christsein, kein christlicher Glaube mehr möglich an den unter uns lebenden Muslimen vorbei. Dasselbe Argument multikultureller Kontextualität gilt natürlich auch umgekehrt. Ignoranz dem Andersglaubenden gegenüber wäre purer Provinzialismus. Das bedeutet: Dieser Dialog bietet die wunderbare Chance, dass Christen und Muslime einander besser kennen lernen. Dass Christen sich endlich einmal ein wenig mit dem Koran und Muslime endlich einmal mit dem Neuen Testament vertraut machen.
Nach diesen Vorbemerkungen werden im Folgenden zwar nicht sämtliche, aber doch die wichtigsten Äußerungen des Korans über Jesus in einer systematisierten Form wiedergegeben. Ich werde mich jedoch nicht auf den Koran beschränken, sondern auch die Jesusbilder der nachkoranischen Tradition des Islams beleuchten. Abschließend wird es um die Fragen gehen, was Jesus heutigen Muslimen bedeutet und wie wir Christen und Muslime miteinander über Jesus sprechen könnten.