Leseprobe aus:
Glaubwürdig von Gott reden.
Im Gespräch mit Paul Tillich
Werner Zager (Hg.)
Resümee und Ausblick
In exemplarischer Weise haben wir gesehen, wie man im Bereich der liberalen Theologie vor Tillich immer wieder neu darum gerungen hat, glaubwürdig von Gott zu reden, indem man sich mit den Veränderungen im Weltbild und den Ergebnissen historischer Forschung auseinandergesetzt hat.
In sieben Punkten soll der Ertrag zusammengefasst werden. Anschließen möchte ich noch einige weiterführende Überlegungen zum Problem der Personalität Gottes.
1. Alle vier vorgestellten Theologen sind sich darin einig, dass mit der Kant'schen Kritik sämtliche Gottesbeweise ihre Überzeugungskraft verloren haben.
2. Auch darüber besteht Konsens: Die Bibel ist nicht selbst die Offenbarung Gottes, sondern Zeugnis einer in der Geschichte geschehenen Offenbarung Gottes, die als Prozess zu verstehen ist.
3. Christlicher Glaube ist etwas Anderes und mehr als das Fürwahrhalten von dogmatischen Sätzen über Gott.
4. Sofern eine Trinitätslehre beibehalten wird (Kaftan, Herrmann), erfährt diese eine weitgehende Umgestaltung: Statt von ewiger Zeugung des Logos und Zweinaturenlehre ist die Rede von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus und seiner Selbstmitteilung im Geist in der christlichen Gemeinde bzw. von Gottes dreifacher Offenbarung. Oder es wird auf eine Trinitätslehre ganz verzichtet (Bousset, Troeltsch).
5. Christlicher Glaube hat Gotteserfahrung zur Voraussetzung. Für diese ist zwar die biblisch bezeugte Offenbarung von maßgeblicher Bedeutung. Aber nur eine weitergehende Offenbarung vermag Menschen in ihrem Hier und Heute zu erreichen (so Herrmann und Troeltsch).
6. Unser Reden von Gott ist immer nur Stückwerk und kann nur symbolisch erfolgen.
7. Wenn wir von der Personhaftigkeit Gottes reden, so handelt es sich auch dabei um symbolische Rede.
Dieser letzte Punkt sei noch etwas weiter bedacht. Gerade auch gegenüber neueren Versuchen, Gott „nicht-theistisch“, d.h. „nichtpersonal“ über das Absolute, den Ursprung und das Ziel von allem zu denken, ist festzuhalten: Gott ist nicht weniger, sondern mehr als Person. So hat es auch Paul Tillich unterstrichen. Es bietet sich daher an, von der „Überpersönlichkeit“ (Transpersonalität) Gottes zu sprechen. Da ich nicht dem Vortrag von Andreas Rössler vorgreifen möchte, beschränke ich mich hier darauf, an das Gottesverständnis Albert Schweitzers zu erinnern. In einem Brief vom 28. Oktober 1906 schrieb der Straßburger Privatdozent an seine künftige Frau Helene Bresslau:
„Als ich gestern Abend betete, das Gebet der letzten Tage um Kraft für den Winter, kam mir immer wieder die Frage: was ist denn Gott? Etwas Unendliches, in dem wir ruhen! Aber es ist keine Persönlichkeit, sondern es wird Persönlichkeit in uns. Der Weltgeist der in dem Menschen zum Bewußtsein seiner selbst kommt. Beten: das Wehen des höchsten Wesens in uns fühlen, uns selber an das Göttliche in uns hingeben und so Frieden finden“ .
Schweitzers Gottesverständnis ist doppelpolig oder, wie er selbst sagt, „dualistisch“. Dies tritt deutlich hervor in seiner Schrift „Das Christentum und die Weltreligionen“ von 1923, wo es heißt:
„Wir aber haben die Illusion aufgegeben, als könne lebendige und ethische Religion logisches Ergebnis des Welterkennens sein. Es ist uns gewiß, daß wir unser Wissen von Gott, der ethische Persönlichkeit ist, nicht aus der Welt gewinnen können. Dem furchtbaren Rätsel, das uns die Welt bietet, ins Auge schauend, ringen wir danach, nicht an Gott irre zu werden. Wir wagen uns einzugestehen, daß die in der Natur waltenden Kräfte in so mancherlei Weise anders sind, als wir es in einer auf einen vollkommenen guten Schöpferwillen zurückgehenden Welt erwarten würden. Wir wagen uns einzugestehen, daß uns in der Natur und in uns selbst so viel entgegentritt, das wir als böse empfinden. [...] Das Rätsel der Religion ist, daß wir Gott in uns anders erleben, als er uns in der Natur entgegentritt. In der Natur erfassen wir ihn nur als unpersönliche Schöpferkraft, in uns aber als ethische Persönlichkeit“.
Das bedeutet nun nicht, dass die Rätsel, die hier bleiben, uns gleichgültig lassen sollen. Es handelt sich um bleibende Fragen nach dem Sinn des Weltgeschehens. Die Antwort darauf sollen wir aber dem Gott überlassen, der sich uns als Wille der Liebe offenbart.