Sapere aude!

Leseprobe aus:

Der neue Atheismus

Die Printfassung enthält Fußnoten.

RICHARD DAWKINS stellt in seinem Buch „Der Gotteswahn“ – der ursprüngliche englische Titel lautet: „The God Delusion“ – dem mit „Monotheismus“ überschriebenen Kapitel folgendes Zitat des amerikanischen Schriftstellers GORE VIDAL voraus:

„Das große unsagbare Übel im Mittelpunkt unserer Kultur ist der Monotheismus. Aus einem barbarischen bronzezeitlichen Text, der unter dem Namen Altes Testament bekannt ist, haben sich drei menschenfeindliche Religionen entwickelt: das Judentum, das Christentum und der Islam. Es sind Himmelsgott-Religionen. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes patriarchalisch – Gott ist der allmächtige Vater –, und deshalb werden Frauen in den Ländern, die von dem Himmelsgott und seinen irdischen männlichen Vertretern heimgesucht waren, 2000 Jahre lang verachtet.“

Was sogleich auffällt, sind der polemische Ton und die Neigung zu Pauschalurteilen, was dem wissenschaftlichen Ethos des sachlichen Differenzierens und der ruhigen Abwägung von Argumenten zuwiderläuft. Die drei monotheistischen Weltreligionen als „menschenfeindlich“ zu stigmatisieren, lässt sich nur erklären aus ungenügender Kenntnis von Geschichte, Entwicklung sowie ethischem Gehalt dieser Religionen und dem Unvermögen, sich mithilfe historisch-kritischer Methodik ein angemessenes Verständnis eines antiken Textes zu erschließen, für das der zeitgeschichtliche Kontext konstitutiv ist. Weiterhin ist es unverzichtbar, die sich über Jahrhunderte erstreckende Auslegungsgeschichte von Bibel und Koran zu berücksichtigen, in der die heiligen Texte immer wieder in einem neuen Licht gesehen und interpretiert worden sind. Dies reicht dann  von Akzentverschiebungen über Entdeckung neuer Sinndimensionen bis hin zu theologischer Sachkritik.

Die Behauptung, das Judentum, das Christentum und der Islam hätten sich aus dem Alten Testament entwickelt, gibt die Ahnungslosigkeit des Autors zu erkennen, die dieser hinsichtlich der Entstehungsprozesse dieser drei Religionen hat. Bestenfalls Stammtischniveau kann man der Äußerung zubilligen, das patriarchalische Gottesbild in Judentum, Christentum und Islam hätte eine 2000 Jahre lang währende Verachtung der Frauen zur Folge gehabt. Mag es noch angehen zu sagen, dass in den Anfängen die monotheistischen Religionen eine patriarchale Gesellschaftsordnung voraussetzen, das Frauenbild war jedenfalls vonseiten der Religionen keineswegs in Stein gemeißelt, sondern wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte. Um nur einmal die Frühzeit der christlichen Religion herauszugreifen, konnten einerseits in Kol 3,18 die Frauen dazu aufgerufen werden, sich ihren Ehemännern unterzuordnen, während andererseits Paulus in Gal 3,28 proklamierte, dass in Christus Frau- oder Mannsein keinerlei Rolle spiele.

In seinem im Auftrag der Giordano-Bruno-Stiftung verfassten „Manifest des evolutionären Humanismus“ interpretiert MICHAEL SCHMIDT-SALOMON religionsgeschichtlich zutreffend die drei monotheistischen Weltreligionen als Offenbarungsreligionen. Problematisch ist dagegen deren weitere Charakterisierung als „ein dogmatisch-verbindliches und institutionell abgesichertes Aussagensystem, das auf universellen Wahrheitsansprüchen vermeintlicher ‚Gottheiten‘ oder ‚Propheten‘ beruht, d. h. auf ‚heiligen Sätzen‘, die bedingungslos geglaubt werden müssen, sich also systematisch dem Zugriff der kritischen Vernunft entziehen“. Mag die Wendung von vermeintlichen Gottheiten und Propheten noch seiner atheistischen Position geschuldet sein, dagegen wird sein Versuch, das Wesen der betreffenden Religionen als dogmatisches, unhinterfragbares Lehrsystem zu deuten, ohne zwischen den Religionen selbst zu unterscheiden und vor allem ohne deren vielfältigen Ausprägungen zu berücksichtigen, dem geschichtlichen Tatbestand in keiner Weise gerecht. Es bleibt unberücksichtigt, dass Christentum und Judentum durch die Aufklärung hindurchgegangen sind, weshalb zumindest für liberale Christen und Juden in Glaubensfragen ein sacrificium intellectus, ein Opfer ihres Verstandes, nicht in Betracht kommt. Dass ein Philosoph, der über eine historische Bildung verfügen sollte, dies außer Acht lässt, verwundert einen schon. So frage ich mich, ob dies im Dienste der eigenen atheistischen Ideologie geschieht, um den Gegner besser bekämpfen zu können. Intellektuell redlich ist solches Verfahren sicher nicht.

Voraussetzung für eine Religionskritik à la SCHMIDT-SALOMON und DAWKINS ist, dass man die fundamentalistische Variante einer Religion als die eigentliche Religion ausgibt. Nur so ist es möglich, religiöses Denken und wissenschaftliches Denken als konträr und einander ausschließend gegenüberzustellen. So heißt es bei SCHMIDT-SALOMON:

„Während in der Wissenschaft […] das Primat des besseren Arguments gilt, gilt in der Religion das Primat der Macht, welche im Falle der theistischen Religionen angeblich vom mächtigsten aller Herrscher, von ‚Gott‘, an seine irdischen ‚Stellvertreter‘ verliehen wurde.“

Ist zwar die in diesem Satz enthaltene – gewiss einseitige – Kritik des früheren Katholiken am päpstlichen Primat verständlich, unwissenschaftlich ist es dagegen, ohne einen historischen Beleg zu behaupten, die Repräsentanten der übrigen monotheistischen Religionen und Konfessionen würden vergleichbare Wahrheitsansprüche vertreten.

Schmidt-Salomon rechtfertigt seinen Ansatz damit, dass er unter Berufung auf MAX WEBER von Idealtypen ausgehe, die in der empirischen Wirklichkeit zwar nicht vorfindbar seien, aber „durch die Zuspitzung, die Konzentration auf das Wesentliche, ein besseres Verständnis kultureller Phänomene“ ermöglichten. Ein Indiz dafür, dass es sich hier um eine höchst problematische Konstruktion handelt, ist bereits die folgende in sich nicht stimmige Verwendung des Begriffs: Zum einen geht SCHMIDT-SALOMON von drei Idealtypen aus: der „authentischen Religion“, die er mit dem Fundamentalismus gleichsetzt, als erstem Idealtyp, der „aufklärerisch gezähmten WeichfilterReligion“ oder „Religion light“ als zweitem Idealtyp, auf die er als dritten Idealtyp das „konsequent aufklärerische Denken“ bezieht. Zum anderen gilt ihm die fundamentalistische Religion als Rein- oder Idealtypus der christlichen Religion, von der er die „aufklärerisch gezähmte ‚Light-Variante‘“ abhebt. Mit dem Dogma, dass die fundamentalistische Variante einer monotheistischen Religion deren authentische Gestalt sei, macht man sich jedoch die Kritik am Theismus entschieden zu leicht.