Sapere aude!

Leseprobe aus:

Begriff und Wertung der Apokalyptik
in der neutestamentlichen Forschung

 

Sieht man einmal von der späteren Position E. Stauffers ab, die eine radikale Trennung zwischen Jesus und der Apokalyptik bedeutet, wird allgemein in der neutestamentlichen Forschung seit J. Weiß Studie Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes der Zusammenhang von Jesu Reich-Gottes-Verkündigung mit der jüdischen Apokalyptik anerkannt. Jedoch ist man über die unterschiedlichen theologischen Richtungen hinweg bestrebt, das Eigentliche in Jesu Botschaft von dem abzuheben, was ihr mit der Apokalyptik gemeinsam ist. Es seien kurz einige Bestimmungen des meist als Kern von der apokalyptischen Schale abgehobenen Propriums der Verkündigung Jesu genannt, die sich zum Teil eng berühren: die Überwindung alles selbstischen Begehrens und die unbedingte Hingebung an den Willen Gottes (O. Pfleiderer), die Erfassung des sittlichen Kerns der Apokalyptik durch Reinigung von fremdartigen Zusätzen (W. Baldensperger), das Hoffen und Wollen einer ethischen Weltvollendung (A. Schweitzer), die Vollendung der Religion der alttestamentlichen Prophetie und der Psalmen bzw. der sittlichen Religion (H. Gunkel, H. Weinel), die einzigartige Gottesgewißheit, mit der Jesus die Zukunftserwartungen der Apokalyptik durchdrungen habe (J. Weiß, W. Bousset), der Anbruch der eschatologischen Heilszeit in Jesu Wort und Tat (J. Jeremias, R. Otto, W. G. Kümmel), der Ruf in die Entscheidung angesichts der Zukunft Gottes (R. Bultmann, G. Bornkamm).

Ähnlich wie bei der Verkündigung Jesu, bemühen sich die Neutestamentler ebenfalls bei der Theologie des Paulus wenn auch vielleicht nicht ganz so engagiert darum, dieselbe von der Apokalyptik zu distanzieren. So bringt J. Weiß als das Wesentliche der paulinischen Theologie die gegenwärtige Heilsgewißheit zur Geltung, welche dem von jeglicher Apokalyptik freien Gottvaterglauben Jesu entspreche. Und H. Weinel, J. Jeremias sowie G. Bornkamm betonen, daß Paulus trotz weitreichender Übereinstimmungen mit der Apokalyptik in der Eschatologie kein Apokalyptiker gewesen sei, da er keine Endzeitberechnungen angestellt, keine Ausmalung der Endereignisse vorgenommen und schließlich keine Apokalypsen verfaßt habe.